Das Wort Geragoge setzt sich zusammen aus Gerontologie und Pädagogik. Es ist ein Teilgebiet der Pädagogik, das sich mit Bildungsfragen und -hilfen für ältere Menschen befasst. Herr Hellmann hat nach seinem Psychologiestudium eine theoretische Weiterbildung in Geragogik gemacht. Danach arbeitete er zwei Jahre lang im Psychiatrischen Krankenhaus in Gießen in der Geronto-Psychiatrie sowie ein weiteres Jahr in einem Pflegeheim. Herr Hellmann: Ich konnte aus dieser Perspektive feststellen, dass sich Drehtüreffekte oder Unterbringungen vermeiden lassen, wenn in den Kommunen ein gutes Netz an Daseinsvorsorge gespannt ist. Als sich dann 1991 die Stelle in Biebertal anbot, hatte ich die Möglichkeit, genau dieses Feld in der Gemeinde zu beackern
Warum wähle ich den Titel “ungewöhnliches” Biebertal?
Eine kleine Gemeinde schuf eine Stelle für einen Beruf, den auch sehr viele große Städte nicht haben und von dem die wenigsten mehr als 25 Jahre später wissen, was sich hinter der Berufsbezeichnung Geragoge tut. Das war sehr weitsichtig.
Renell: Wie kam es dazu, dass die Gemeinde Biebertal einen Geragogen einstellte?
Hellmann: Seit 1988 gibt es eine entsprechende Stelle in Biebertal, eingerichtet unter Bürgermeister Günter Leicht. Dahinter stand damals der politische Wille, sich den Herausforderungen der demographischen Entwicklung zu stellen und ein entsprechendes Versorgungsnetz für die Älteren und Pflegebedürftigen in der Gemeinde zu schaffen. Und der erste Schritt dafür war eben eine geragogische Anlauf- und Beratungsstelle, damals noch besetzt mit meiner Vorgängerin, Claudia Reinhardt. Ich habe dann 1991 die Stelle übernommen.
Renell: Wie war die Situation in der Altenarbeit 1991?
Hellmann: Damals gab es noch keine Pflegeversicherung, die wurde erst 1995 eingeführt. Das heißt, Betreuung und Pflege wurden noch nicht als gesamtgesellschaftliche Aufgabe angesehen, sondern eher als private Angelegenheit. Die Familie sollte sich kümmern. In den Kirchengemeinden war jeweils eine Gemeindeschwester tätig, in Frankenbach war es noch eine Diakonisse. Alle waren mehr oder weniger Einzelkämpferinnen. Mit Schwester Ingrid Bauer, die auch heute noch zum Helferteam der Seniorenrunde gehört, entwickelte sich eine sehr konstruktive Zusammenarbeit. Wir haben sehr bald einen Laienhilfsdienst in Form organisierter Nachbarschaftshilfe auf die Beine gestellt, der in den Familien zusätzliche Unterstützung leisten konnte. 1990 war der Förderverein Sozialstation Biebertal gegründet worden, der mit seinen beiden Vorsitzenden Helmut Bechlinger und Hilde Schlinke wichtige Fördermittel bereitstellte. Ein Jahr zuvor war die Arbeitsgemeinschaft Sozialstation der Gemeinden Biebertal, Wettenberg, und Heuchelheim ins Leben gerufen worden, um über Landesmittel die Strukturen der ambulanten Dienste zu stärken. Zusammen mit Schwester Ingrid habe ich dann gemeindeübergreifend ein Gesprächs- und Informationsangebot für pflegende Angehörige initiiert. Die Angehörigen, obwohl öffentlich kaum wahrgenommen, sind der größte und wichtigste Pflegedienst und sie durften durch diesen Austausch Ermutigung und Anerkennung erfahren.
Und auch die Pflegekräfte brauchen mehr öffentliche Wertschätzung und Unterstützung. Deswegen habe ich damals Supervision organisiert, die auch gerne angenommen wurde.
1992 wurde dann mit Helga Lopez die Stelle der hauptamtlich Beigeordneten geschaffen. Zusammen mit Günter Leicht und im Verbundsystem der drei Gemeinden eröffnete sie ein Jahr später die Tagespflegeeinrichtung. So erwuchs aus der Kooperation der Westgemeinden eine gut aufgestellte Versorgungsstruktur mit den ambulanten Pflegediensten vor Ort, der Tagespflegestätte und später den ortsverbundenen AWO-Kleeblatt-Pflegehäusern in Rodheim, Wißmar und Heuchelheim mit dem Mutterhaus in Lollar.
Eine kleine Anekdote noch zu der Anfangszeit: Kurz nachdem ich meine Stelle antrat, wurde ich zusammen mit dem damaligen Jugendpfleger Martin Evenius und dem Umweltberater vorübergehend in eine Außenstelle in der Fellingshäuser Straße unterhalb der Dünsberg-Bäckerei (damals Bäcker Sommer) büromäßig umgesiedelt . Wir galten dann als „die drei von der Tankstelle“.
Dieser Artikel wird fortgesetzt am 1. Februar Die Aktivitäten der Seniorenrunde