Auf Facebook wurde diskutiert, ob man das Traditionshaus mit der früheren Gaststätte Bender-Listmann und den großen Saal nicht erhalten könne.
Aus sicherer und fachfraulicher Quelle kann diese Frage, nach Begehung der Gebäude, mit einem klaren Nein beantwortet werden. Durch einen Wasserschaden ist das Haus in der Gießener Straße 50 in Rodheim völlig marode; und auch die Anbauten wie der große Saal sind für eine weitere Nutzung nach heutigen Standards so nicht geeignet.
Anlass zur Diskussion sind Berichte, dass auf dem Areal im Zuge der Ortskernverdichtung Wohnraum entstehen soll. Ein Investorenteam um Dr. Lust will das Gelände unter dem Motto „Alt und Jung gemeinsam“ entwickeln und u.a. für die kommunale Kindertagesstätte „Sternschnuppe“ sowie für die Tagespflege ein neues modernes Domizil errichten.
Dies wäre sicherlich, so Klaus Waldschmidt, im Sinne des bereits im Jahre 2013 86-jährig verstorbenen Eigentümers Friedel Listmann und seiner ebenfalls nicht mehr lebenden Frau Hella gewesen.
Bevor die Gebäude endgültig abgerissen werden, lohnt sich ein Blick in die Historie von Gebäude und Besitzern des Hauses mit den markanten Säulen des Vorbaus in der Gießener Straße 50 mit Erinnerung an die Rodheimer Traditionsgaststätte Bender-Listmann.
Das Gebäude wurde 1860 von dem Landwirt, Metzger und Gastwirt Karl Bender erbaut.
Der Sohn des Erbauers Wilhelm Bender II. war Bürgermeister und zeitweise ebenfalls Landwirt, Metzger und Wirt.
Die Kombi Metzgerei und Gastwirtschaft war noch in den 70er Jahren, als ich nach Biebertal kam, üblich und beliebt – allein schon wegen der reichlichen Fleischportionen, die der Gast im Wirtschaftswunderdeutschland hier auf seinem Teller fand.
1911 wurde der große Saal, ein Backsteinbau – von der Talstraße aus zu sehen – auf dem Grundstück hinter dem Haus erbaut.
Hier wurden anfangs, als die Bilder laufen lernten, Stummfilme gezeigt.
Daneben gab es während der Sommermonate auch eine Küche für die Bewirtschaftung im Garten.
Friedel Listmann, ein Nachkomme der Benders, erinnerte sich immer gerne an seine Kindheit in diesem Hause. So war er als “Kegelbub” auf der überdachten, nach allen Seiten offenen, Kegelbahn im Gartengelände aktiv. Damals musste man die Kegel noch von Hand aufstellen! Für einen Sonntagsdienst gab es damals 10 Pfennig. Der echte Rodheimer Bub wurde am 19. Juli 1927 geboren und besuchte in seinem Heimatort die Volksschule.
Fritz Listmann, der Vater von Friedel, hatte Haus, Metzgerei und Gaststätte 1938 übernommen.
Friedenszeiten waren das noch, doch vieles änderte sich mit dem Krieg.
Im großen Saal, fanden weiter Filmvorführungen statt; aber auch die Nationalsozialisten nutzten den Saal für ihre Großveranstaltungen.
Im kleinen Saal hinter der Gaststätte, die sonst meist von den Ortsvereinen genutzt wurde, befand sich während des zweiten Weltkrieges ein Lager mit 15 französischen Kriegsgefangenen.
Fritz Listmann wurde 1939 Soldat, ging nach Russland und geriet in Kriegsgefangenschaft. Während dieser Zeit führte seine Gattin Eleonore Listmann (geborene Bender) Wirtschaft und Metzgerei weiter.
Friedel, der Sohn des Hauses, holte während dieser Zeit wöchentlich Fleisch und Wurst mit dem Fahrrad für den eigenen Verkauf bei Gottlieb Geller in Bieber, der dort eine Metzgerei betrieb. Diese Fleisch- und Wurstwaren wurden dann nach Fleischkarten verteilt.
Ab 1944 musste auch Friedel bei den Fliegern Kriegsdienst leisten. Er wurde am 12. April 1945 schwer verwundet und verlor ein Bein. Am 13. November 1945 wurde er aus russischer Kriegsgefangenschaft entlassen. Nach Kriegsende 1945 wurde Listmanns Betrieb behördlich geschlossen. Wirtschaft und Verkaufsladen der Metzgerei diente den Amerikanern als Bar.
Im großen Saal wurden 1945 Hohlblocksteine hergestellt und getrocknet und auch Grabrahmen geschliffen.
Als Vater Fritz Listmann 1948 aus russischer Kriegsgefangenschaft heimkehrte, nahm er seine Arbeit als Wirt und Metzger wieder auf.
Das erste Fest im großen Listmann-Saal wurde nach dem Weltkrieg 1950 mit einem Faschingsvergnügen gefeiert. Erstmals nach dem Kriegsende kamen die Leute wieder mit Festkleidern.
Damals kam der Fasching durch die vielen Heimatvertriebenen auch in Rodheim in Schwung. Das war auch die Zeit, als der katholische Pfarrer Hollenstein zum Kinderfasching in den Saal lud und es dann hoch her ging.
1950 wurden auch die VdK-Weihnachtsfeiern aufgenommen, zu denen die Witwen mit ihren Kindern und die Kriegsbeschädigten kamen. Der Saal war mit bis zu 350 Besuchern gefüllt.
Im Winterhalbjahr – damals war es meist noch sehr kalt – wurde der Saal mit zwei Öfen mit Holz und Brikett beheizt.
Legendär, der Auftritt von Ernst Mosch mit seinen Egerländer Musikanten, der mit Böhmischen Liedern und Polkas begeisterte. “Der Saal war brechend voll, so dass die Kellner kein Bier mehr an die Tische bringen konnten”, erinnerte sich Friedel Listmann.
1949, 1950, 1952, 1954 und 1956 wurde die örtliche Kirmes im Listmann-Saal und dem angrenzenden Biergarten, teilweise mit einer 14-Mann-Kapelle, gefeiert. 1948 gab es erstmals bei Listmanns zur Kirmes Fischbrötchen ohne Bezugskarten. “Der Wirt stellte den Saal und sorgte für Speis und Trank. Die Burschenschaften sorgten für die Kirmeskapelle und bezahlten diese”, erläuterte Friedel Listmann. “Mein Vater hatte schon Wochen vor der Kirmes Vorbereitungen zu treffen und legte die Rippchen ein.”
Während des Krieges gab es keine Kirmes.
Bis in die späten 1950er Jahre hinein war der große Saal wieder ein Schauplatz von Familienfeiern und Fastnachtsveranstaltungen. Seit 1961 wird er nicht mehr für öffentliche Veranstaltungen, sondern nur noch als Abstellraum genutzt.
1955 heiratete Friedel Listmann seine Frau Hella. Aus der Ehe ging ein Sohn hervor.
So war er eng mit dem Modellflugverein Biebertal verbunden. Oft war er beim An- oder Abfliegen auf dem Modellflugplatz im Rodheimer Gewerbegebiet anzutreffen.
Von 1965 bis 2006 war Friedel Vorsitzender des VdK-Ortsverbandes. Dabei lag ihm insbesondere die Unterstützung für die “kleinen Leute”, die auf die Hilfe der VdK-Organisation angewiesen sind, am Herzen; wobei sein Leitmotto war: “Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht der Mensch”. In allem wurde er stets von seiner inzwischen verstorbenen Frau Hella unterstützt.
Auch die Weiterführung der Gastwirtschaft mit Fremdenzimmern war, wegen der Kriegsverwundung und den langwierigen Genesungsprozess nur durch seine Frau Hella möglich. Sie betrieb das Rodheimer Traditionsgasthaus mit Fremdenzimmern letztlich vom November 1967 bis Mai 1989; wobei der Betrieb von 1956 bis 1967 an Hans Strutz verpachtet war, bis der 1967 seine eigene Metzgerei in Bieber eröffnete.
Die Gaststube war lange Zeit ein zentraler Kommunikationspunkt im Ort und Treffpunkt lokaler Honoratioren und zahlreicher Vertreter des öffentlichen Lebens im Dorf.
Weil Friedel wegen seiner Kriegsverwundung das Geschäft der Eltern nicht übernehmen konnte, besuchte er die Voko-Handelsschule in Gießen und war danach 40 Jahre zunächst auf der Bürgermeisterei und dann in der Biebertaler Gemeindeverwaltung beschäftigt.
In eben diesen Räumen feierte Friedel Listmann im Jahre 2007 auch seinen 80. Geburtstag. Die letzten Jahre lebte Friedel Listmann überwiegend im Rodheimer AWO-Heim. Am 11. August verstarb er nach langer Krankheit wenige Wochen nach seinem 86. Geburtstag.
Man wird Friedel Listmann als einen Mann in Erinnerung behalten, der mit großer sozialer und menschlicher Kompetenz zum Wohle der Menschen in Biebertal gewirkt hat und – trotz seiner schweren Behinderung – den Lebensmut nicht verlor und es verstand, anderen Mut zu machen und Zuspruch zu leisten.
Quellen: Gießener Allgemeine, 23.08.13, Gießener Anzeiger, 10.11.2020, Biebertaler Nachrichten, 20.11.2020